Erinnerungen an das Kriegsende in Borgentreich

In den ersten Kriegsjahren zog zum „Tag der Arbeit“ noch ein großer Festzug durch den Steinweg. Zum Kriegsende 1945 gab es hier durch den Beschuss der US-Truppen die größten Zerstörungen. Kaum ein Haus blieb verschont.
In den ersten Kriegsjahren zog zum „Tag der Arbeit“ noch ein großer Festzug durch den Steinweg. Zum Kriegsende 1945 gab es hier durch den Beschuss der US-Truppen die größten Zerstörungen. Kaum ein Haus blieb verschont.

„Mörderisches Phosphorfeuer          auf unserer lieben Heimatstadt“

Der Steinweg 1940: Beim Einmarsch der US-Truppen am 1. April 1945 wurden nahezu sämtliche Fachwerkhäuser zerstört.
Der Steinweg 1940: Beim Einmarsch der US-Truppen am 1. April 1945 wurden nahezu sämtliche Fachwerkhäuser zerstört.

Borgentreich. Der Krieg ist beinahe zu ende, als es auch Borgentreich trifft. Am 1. April 1945, Ostersonntag, gerät die Bördestadt unter amerikanischen Beschuss. Es sterben mindestens neun Menschen, 113 Wohnhäuser und 284 Wirtschaftsgebäude – gut ein Drittel der Stadt – werden zerstört.

Zeitzeugen erinnern sich an die Geschehnisse vor 75 Jahren, ein Blick in die Ortschronik offenbart ein Ausmaß von Leid und Vernichtung. Chronistin ist zu jener die Borgentreicher Lehrerin Elisabeth Falke.

Am 31. März nehmen amerikanische Truppen Warburg ein. Auch in der Nachbarstadt ist man auf alles gefasst. Am ersten Ostertag rücken die Amerikaner weiter vor, feuern einige Warnschüsse ab – und die werden aus Borgentreich „von den hier zerstreuten deutschen Soldaten erwidert“, schreibt Falke.

„Ein mörderisches Phosphorfeuer lag zwei Stunden lang auf unserer lieben Heimatstadt. Wie ein Hagelwetter prasselten Artillerie- und Maschinengewehr-Geschosse in die Straßen und Gassen, in Mauern und Wände, Türen und Fenster. Die Bürger in ihrer Angst krochen in die Keller und beteten.

In zehn Minuten standen die Häuser lichterloh in Flammen. Wegen des Beschusses konnte sich niemand auf die Straße wagen, um zu helfen. Wohl glückte es vielen Leuten noch, ihr Vieh loszubinden und gehen zu heißen. Das irrte herrenlos heulend und brüllend in bitterkalten Nächten in der Wildnis umher. Andern war die Befreiung der Tiere nicht mehr möglich, da ihr Haus rings vom Feuer umgeben war. So mussten 500 Stück Großvieh (Pferde, Kühe, Schafe, Schweine) ersticken, bzw. leider verbrennen und 9/10 des Geflügels. Ein Wirrwarr sondergleichen wälzte sich durch die Straßen, Aufregung und Erbitterung.“

Elisabeth Falke: „Als das Maß des Unglücks voll war, ging in der Oberstadt ein deutscher Mann mit einem polnischen Offizier zum Amerikaner am Lehmberge, ein andrer polnischer Offizier zur Truppe am Maschberge und baten um Schonung für die Stadt. Sie wurde gewährt und sogleich das Feuer eingestellt.“

Für zwei Borgentreicher - den zwölfjährigen Joseph Dürdoth und die 23 Jahre alte Margret Bartoldus - sowie zwei italienische Fremdarbeiter aber ist es zu spät. Sie sterben in den Trümmern.

In der Chronik - hier ein Ausschnitt - hat Elisabeth Falke das Ausmaß der Zerstörungen dokumentiert.
In der Chronik - hier ein Ausschnitt - hat Elisabeth Falke das Ausmaß der Zerstörungen dokumentiert.

„An deutschen Soldaten blieben fünf Soldaten auf dem Kampfplatze, davon vier in zwei Doppelgräbern auf unserm Friedhof ruhen. Auch die Amerikaner hatten einige Verluste,“ berichtet die Chronistin.

Laut Chronik vernichtet das Feuer 113 Wohnhäuser, 48 Pferdeställe, 78 Kuhställe, 79 Schweineställe, 20 Scheunen und 59 Schuppen. Weitere 62 Gebäude werden schwer beschädigt.

Bis Juni halten US-Truppen Borgentreich besetzt, bevor sie von Engländern abgelöst werden. Falke: „Von allem, was das Volk erlebt hatte, war es so aufgebracht, daß es sich tätlich an einem Beamten des Amtes vergriff, der durch Schuß eines Amerik. getötet wurde. Zwei gefallene deutsche Soldaten, die in den Kluswäldern gefallen sind, liegen zu Seiten des Kluskreuzes vor der Kapelle begraben.“

 

Offene Fragen

 

Soweit die Schilderungen der damaligen Chronistin. Wenig Aufschluss gibt die Chronik über Hintergründe und Begleiterscheinungen jener Tage. Viele Fragen bleiben offen:

 

Was sind das für deutsche Soldaten, die glauben, Borgentreich gegen eine feindliche Übermacht verteidigen zu müssen?

 

Welche Rolle spielt der in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnte damalige Bürgermeister Franz Woker? (Siehe Bericht unten.)

 

Was hat es mit dem Tod jenes „Beamten des Amtes“ auf sich?

 

Andere Quellen offenbaren Details:

 

 Brisante Briefe: Josef Stauf - der Nazi im Rathaus

 

Bei dem getöteten Beamten handelt es sich um den NSDAP-Mann Josef Stauf, einen engen Freund Wokers. Er holt Stauf 1938 oder 1939 aus Köln ins Borgentreicher Rathaus. In Schriftwechseln mit Woker, der zu Kriegsbeginn als Oberleutnant und Kompanieführer eingezogen ist, bezeichnet Stauf sich selbst als „Luftschutzleiter und Polizei im Außendienst“.

Diese Schriftwechsel waren bislang unbekannt und sind erst im März 2020 überraschend aufgetaucht. Aus den persönlichen Briefen geht hervor, dass der offenbar bedingungslos linientreue Parteigänger Stauf in der Verwaltung Mitarbeiter bespitzelt und denunziert, nach Zeugenaussagen auch Fremdarbeiter körperlich schwer misshandelt hat.

„Ich habe mir bei all meiner Gutheit einen fabelhaften Respekt verschafft,“ prahlt Stauf gegenüber dem Bürgermeister. Und weiter: „Du kannst Dich darauf verlassen, dass ich in allen Lagen meinen Mann stehe und so schnell und blitzartig handele, dass jedem die Spucke wegbleibt.“ Dazu ein dem Autor bekannter Zeitzeuge: „Der Stauf war ein ganz übler Nazi und im Ort gefürchtet.“

Woker selbst nennt Stauf seinen „verlässlichsten Vertrauensmann“. „Es war doch gut, dass Du noch vor Anbruch dieser schweren Zeit von Köln nach Borgentreich gekommen bist. Wäre es anders, würden die Gernegroße dort sich wie Tyrannen benehmen“, betont Woker gegenüber Stauf in einem Brief vom 27. September 1939.

Über den späteren Tod Josef Staufs schreibt Hannes Tölle, der die letzten Kriegsjahre als Evakuierter in Borgentreich erlebt, in seinen Erinnerungen „Drei Jahre in Borgentreich – 1945 bis 1948“: „Der oberste NSDAP-Mann von Borgentreich lag beim Einrücken der Amerikaner mit einer Mistgabel erstochen mitten auf der Straße.“

Zwei andere, nicht belegte und durch ein später aufgetauchtes Schreiben (siehe Bericht unten) wohl auch widerlegte Versionen lauten:

 

1. Stauf habe sich geweigert, beim Löschen eines brennenden Hauses zu helfen und sei daraufhin von einem amerikanischen Soldaten erschossen worden.

2. Ein US-Feldwebel habe den schwer verletzten Stauf auf der Straße liegen sehen und ihm den Gnadenschuss gegeben.

 

Festzustehen scheint, dass der verhasste NSDAP-Funktionär Josef Stauf beim Einrücken der Amerikaner wohl zu seinem Haus in der Lehmtorstraße will, als er auf seinen oder seine Mörder trifft. Die genauen Todesumstände bleiben bis heute im Dunkeln. Wer den verhassten NSDAP-Funktionär wirklich umgebracht hat, wird offiziell nie geklärt.

 

Beerdigt wird Stauf auf dem evangelischen Friedhof. Seine Frau lässt die Leiche zwei Jahre später exhumieren und nach Euskirchen umbetten.

 

Namen der angeblichen Täter sind bekannt

 

Im Frühjahr 2023 ergeben sich überraschend weitere Erkenntnisse zum Tod von Josef Stauf. Dem Borgentreicher Stadtarchiv fällt der Nachlass eines Heimatgeschichts-Forschers zu. In dem umfangreichen Material befinden sich auch Aufzeichnungen zu jenem mysteriösen Vorfall. Der neuen Quelle zufolge handelt es sich eindeutig um ein Verbrechen: Der verhasste Nazi wurde von Borgentreicher Bürgern umgebracht. Zwei Täter werden in dem Schriftstück sogar namentlich benannt. Der Wahrheitsgehalt lässt sich allerdings nur schwer überprüfen. Die wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die möglicherweise mehr wissen und zur Aufklärung beitragen könnten, schweigen bis heute.

 

Ein Zeuge hört: "Schlagt den ... tot"

 

Zu den letzten Kriegstagen in Borgentreich und dem Tod des NSDAP-Funktionärs Josef Stauf taucht 2021 ein interessantes Dokument auf. Stadtarchivar Klaus Jürgens entdeckt in einem Aktenordner den Brief eines Zeitzeugen, der die Geschehnisse detailliert schildert und etwas mehr Licht in ein dunkles Kapitel der Stadtgeschichte bringt. Danach ist Stauf wohl zumindest mitverantwortlich für die Zerstörung Borgentreichs. Und bei der Lynchjustiz an dem verhassten Nazi sehen amerikanische Soldaten offenbar tatenlos zu.

„Ich gehörte als damals 17-Jähriger zu den jungen Bengels, die am 1.4.45 in Borgentreich auf dem Weg nach Berlin aus Dänemark kommend am Abend des 31.3.45 in Brakel aus einem Güterzug ausgeladen und in den Einsatz nach Borgentreich in einem Nachtmarsch geschickt wurden“, schreibt der junge Wehrmachtssoldat und spätere Leitende Kommunalbeamte in seinem bereits 1995 verfassten Brief an die Orgelstadt. Die mangelhafte Bewaffnung bestätigt er. Der kleine Trupp bezieht am Mühlenberg Stellung, wo die deutschen Jungsoldaten in ihrer Deckung den Beschuss und die Zerstörung des Ortes miterleben. „Angst und Hilflosigkeit waren die beherrschenden Gefühle.“ Von den vorrückenden Amerikanern werden sie gefangen genommen.

Auf dem Weg in die Gefangenschaften werden die zehn bis zwölf Soldaten ganz offensichtlich Zeugen des Verbrechens an dem damals 51-jährigen Amtssekretär Josef Stauf. Am Heidemühlenweg wird die Gruppe von den GIs nach Waffen durchsucht. „Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bemerkte ich eine Gruppe von drei oder vier Männern, deren Alter ich auf um die 50 Jahre schätzte,“ erinnert sich der Zeuge. „Sie waren nicht uniformiert, sondern trugen Arbeitskleidung, wie man sie gewöhnlich bei der Feldarbeit trägt. Zwei oder drei der Männer schlugen auf einen weiteren, zwischen ihnen stehenden, von verschiedenen Seiten mit Knüppeln, m.E. Forken- oder Axtstielen, ein. Es ging fast lautlos zu. Der Geprügelte schrie nicht, sondern hielt lediglich die Hände abwehrend über sich.“

  • Aus dem ersten Stock eines Hauses habe eine etwa 45-jährige oder ältere Frau den Prügelnden zugerufen: „Schlagt den … tot“.

Dann sieht der junge Soldat, „wie der Geprügelte von einem Knüppel an seiner rechten Halsseite getroffen wurde, sein Kopf knickte auf die rechte Schulter und er fiel nach vorn auf sein Gesicht und blieb, solange wir es beobachten konnten, regungslos liegen. Kurze Zeit später wurden wir in Richtung Warburg abgeführt. Die amerikanischen Soldaten griffen nicht ein.“

Josef Stauf wird später - von einer Mistgabel durchbohrt - tot aufgefunden.

Weiter heißt es in dem Brief an die Orgelstadt: „Im Gefangenenlager in Warburg wurde unter Mitgefangenen, die den Vorgang beobachten konnten, die Meinung geäußert, bei dem Betroffenen habe es sich um einen Mann gehandelt, der unseren Einsatz in Borgentreich durch Kontakt mit der Wehrmacht veranlasst habe und deshalb für die Zerstörung Ihrer Stadt verantwortlich gemacht wurde.“

„Meine Absicht ist es nicht, mit dieser Information die Vergangenheit aufzurollen und wieder lebendig werden zu lassen“, schreibt der inzwischen verstorbene Zeuge. „Es gehört aber sicher zum besseren Verständnis der Geschichte Ihrer Stadt und zur Vervollständigung des Zeitbildes um das Kriegsende, auch solche Fakten nicht untergehen zu lassen.“

 

 

Werwölfe und Jungsoldaten, die sich Mut antrinken

 

Bei den Soldaten, deren sinnloser Widerstand beim Einmarsch der Amerikaner die Situation eskalieren lässt, handelt es sich laut Hannes Tölle um „sechs Mann der Gruppe Werwolf, versprengte deutsche Soldaten, die sich zu kleinen Gruppen zusammenschlossen, immer im Vorfeld der Amerikaner agierten und versuchten, deren Vormarsch zu verlangsamen. Sie sahen verwegen aus, hatten nur die Uniformhose an und aufgekrempelte Ärmel, als Kopfbedeckung höchstens ein Schiffchen. Sie waren bewaffnet mit Maschinenpistolen, die sie lässig an einem Riemen über der Schulter trugen und mit Panzerfäusten. Plötzlich hörten wir einige dumpfe Einschläge und wildes Maschinengewehrfeuer. Dann war es genauso schnell wieder ganz ruhig. Die Werwolfgruppe hatte zwei, drei amerikanische Panzer mit ihren Panzerfäusten geknackt, dabei zwei Mann verloren und zog nun in das nächste Dorf Richtung Osten. Die Amerikaner waren wieder nach Westen zurückmarschiert.“

Doch die Amerikaner stoßen wenig später über den Mühlenberg erneut auf die Bördestadt vor, und das Schicksal nimmt aufgrund des sinnlosen Widerstands seinen Lauf.

Laut einem Bericht der Neuen Westfälischen vom 28. März 2020 zum Kriegsende in Borgentreich kommt dieser Widerstand von weiteren Soldaten. Die Zeitung schreibt:

„Rund zwei Dutzend deutsche Soldaten hatten in der Nacht in der alten Volksschule am Steinweg übernachtet. ‘Das waren alles junge Bengel‘, erinnerte sich vor Jahren ein [namentlich nicht genannter] Zeitzeuge. Die hätten zwei Maschinenpistolen, eine Panzerfaust und ein paar Karabiner dabei gehabt. Damit sollte der Einmarsch der Amerikaner gestoppt werden. Lediglich an der Eissener Straße habe sich noch ein kleiner Posten befunden, der sich aber in Richtung Borgholz zurückzogen habe.

Die vom Steinweg kommenden jungen Soldaten marschieren auf den Mühlenberg, graben sich mit ihren Waffen auf freiem Feld ein. Dann fährt ein deutscher Offizier am Haus Diekmann vor. Er ruft die Soldaten vom Mühlenberg zusammen und erklärt Borgentreich als vorgeschobenen Brückenkopf der Weser-Linie, der unbedingt zu halten sei. Er lässt eine Schnapsflasche kreisen, schickt die Jugendlichen in einen aussichtslosen Kampf.

Die amerikanischen Panzer kommen in Sichtweite, Maschinengewehr-Salven peitschen durch die Mühlenstraße. Gute zwei Stunden prasseln nach den Phosphorgranaten die Kugeln über die Köpfe der schlecht ausgerüsteten Soldaten auf dem Mühlenberg hinweg auf die Häuser der Stadt. Borgentreich wird sturmreif geschossen. In nur wenigen Minuten ist die halbe Stadt ein einziges Flammenmeer.“

Noch während der gesamten Woche nach Ostern versucht die Wehrmacht, Borgentreich zurück zu erobern. Die Stadt wird von deutscher Flak beschossen. "Die Artillerie liegt im Gebiet Rote Breite, Klus Eddessen, Bühne und Hoher Berg. Auch am Metzberg haben sich deutsche Soldaten verschanzt. Die alten Stellungen hat unlängst der Borgentreicher Archäologe Dr. Fritz Jürgens ausgegraben.

Am Samstag vor dem Weißen Sonntag fällt der letzte Schuss", so die NW.

Amerikanische Soldaten nach dem Einmarsch in der Borgentreicher Kirche und im Ort.

 

Amerikaner mit Stiefeln im Bett

Hans Tappe ist 16 und erholt sich gerade von einem längeren Krankenhausaufenthalt. Zwei Brüder sind im Krieg, vier Schwestern und der jüngere Bruder zuhause in Borgentreich. Der Vater ist Beamter in der Stadtverwaltung.

 An den ersten Ostertag 1945 erinnert sich der heute 91-Jährige noch ganz genau. „Ich war in der Ostermesse, Pastor Meyer predigte und predigte und fand kein Ende.“ Nach der Messe rennt der Gymnasiast schnell nach Hause. In der Ferne hört er bereits die anrückenden Truppen.

 Angstvoll bereitet sich die Familie auf den Einmarsch vor. „Wir haben uns alle in den Keller zurückgezogen“, erzählt Hans Tappe. „Aber vorher klopfte es noch an der Haustür. Da standen mehrere polnische Offiziere, die aus dem Lager Dössel kamen und fragten, ob sie bei uns auf die Amerikaner warten dürften. Von draußen hörten wir den Einschlag der Geschosse. Die Polen haben im Keller mit uns gemeinsam gebetet.“

Die jüngere Schwester Margret leidet an einem grippalen Infekt, fiebert und friert. „In unserem Keller war noch ein kleiner Stall für ein Schwein, da ist sie dann ins warme Stroh gekrochen,“ erinnert sich der pensionierte Studienrat mit einem Schmunzeln.

Etwa zwei Stunden harrt die Familie mit ihren Kriegsgästen im Keller aus, bevor sie die Panzer durch die Emmerkertor-Straße rollen hören. Die polnischen Offiziere sind dann rausgegangen, haben die Amerikaner begrüßt und ihnen gesagt, wir seien keine Nazis, alles gute Leute.“ Ein US-Sanitäter versorgt die fiebernde Margret.

Viele Häuser in der Orgelstadt werden von den Amerikanern in Besitz genommen. Tappen dürfen im Haus bleiben, müssen aber die Schlafzimmer für amerikanische Soldaten räumen. „Zwei Soldaten haben mit Stiefeln im Bett unserer Eltern gelegen,“ hat Hans Tappe noch immer das ungewöhnliche Bild vor Augen.

Die älteste Schwester Agnes spricht sehr gut Englisch und wird von den Amerikanern als Dolmetscherin rekrutiert. Bei der Gelegenheit berichtet sie dem Stadtkommandanten, dass ein Soldat sämtliche silbernen Teile von der Nähmaschine ihrer Schwester Mia abgebaut und einkassiert habe. Der Kommandant entgegnet zwar, Amerikaner seien keine Diebe, stellt den Soldaten aber zur Rede – „und am nächsten Tag ist die Nähmaschine wieder komplett“.

Als die US-Truppen später aus Borgentreich abziehen, ist bei Tappen erst einmal Großreinemachen angesagt. „Aber am Abend standen sie wieder vor unserer Tür, weil sie nicht über die Weser gekommen waren und freuten sich über die schönen sauberen Zimmer“, erinnert sich Hans Tappe.

Sein Vater Josef Tappe hat in der Verwaltung jahrelang mit dem umstrittenen Bürgermeister Franz Woker zusammengearbeitet. Freunde sind sie nie gewesen, das Verhältnis war eher distanziert. Trotzdem nimmt Josef Tappe die in der Nachbarschaft wohnende Familie Wokers nach dessen Verhaftung vorübergehend in sei Haus auf. „Für Vater war es ein Akt der Menschlichkeit, die Familie stand doch auf der Straße,“ erklärt Hans Tappe. Von einigen Borgentreichern sei der Vater für sein Verhalten angefeindet worden.

Der pensionierte Studiendirektor Hans Tappe lebte bis zu seinem Tod 2023 in Kall (Kreis Euskirchen) in der Eifel.

 

2000 Gefangene in der Orgelstadt


Hannes Tölle hat als Evakuierter das Kriegsende in Borgentreich miterlebt. Das Bild rechts zeigt ihn als Pimpf 1945. Heute lebt Tölle als Rentner in Selm-Bork im Kreis Unna.

Der heute 88-jährige Hannes Tölle hat das Kriegsende in Borgentreich miterlebt und seine Erinnerungen unter dem Titel „Drei Jahre in Borgentreich – 1945 bis 1948“ niedergeschrieben.

In Berlin aufgewachsen, kommt Tölle über Kauen in Litauen nach Paderborn und nach dem Bombardement der Domstadt Anfang 1945 mit 13 Jahren zu seinem Patenonkel Hans Tegethoff und dessen Frau Meta in die Bördestadt. Tegethoff ist Tierarzt in Borgentreich.

So hat Hannes Tölle den Einmarsch der Amerikaner erlebt: „Es war Ende März 1945, Ostern stand vor der Tür. Allmählich ging der Krieg seinem Ende entgegen. Die Amerikaner waren weit nach Westdeutschland eingedrungen.

Das örtliche Jungvolk wollte noch einen Propagandamarsch machen und ich sollte teilnehmen. Onkel Hans hat es mir verboten. Das konnte ich damals nicht verstehen, habe aber das Verbot befolgt.

Am Ostersamstag wurden ca. 2000 polnische Kriegsgefangene aus dem Lager in Dössel durch das Dorf geführt. Als Bewachung waren gerade mal zehn deutsche Soldaten dabei. Da bekam man doch ein mulmiges Gefühl.

Am 1. April 1945 (Ostersonntag) kam Tante Meta aus der Kirche und riss mich aus dem Bett.

Eine unheimliche Ruhe lag über der Gemeinde, alles wartete auf das was kommen würde.

Dann ging es los, ein Heulen und Bersten setzte ein, Phosphorgranaten schlugen in die Häuser. Ich packte blitzschnell meinen Strohkoffer und schleppte ihn nach unten. Da zogen schon dicke Qualmwolken durch die Straßen. Unser Bauer gegenüber hatte zwei Pferde vor einen Leiterwagen gespannt und seine Familie eingeladen. Onkel Hans befahl mir, dort mitzufahren.

Ich schmiss meinen Koffer auf den Wagen und sprang hinterher. Im Galopp ließen wir den Ort hinter uns – Richtung Bühne – und bogen dann in einen Feldweg ein, an dessen westlicher Seite eine Böschung Deckung gab. Groß war unser Erstaunen, als wir an dieser Böschung die 2.000 polnischen Gefangenen bäuchlings liegen sahen, die am Vortag durch Borgentreich geführt wurden. Auch sie wollten hier Schutz suchen vor den aus allen Rohren feuernden Amerikanern. Wir ließen den Leiterwagen stehen, schmissen uns zwischen die Polen und warteten auf die Dinge, die da kommen sollten. Nach einer halben Stunde sickerte die Botschaft durch, die Amis wären schon eingerückt. Vorsichtig schaute ich über die Böschung und sah auf der nächsten Anhöhe einen riesigen amerikanischen Panzer stehen. Ansonsten war alles wieder ruhig.

Der Bauer drehte sein Gespann und führte die Pferde am Halfter wieder Richtung Dorf. Die Angehörigen und ich folgten ihm zu Fuß, die Polen blieben

zunächst liegen, die Bewachung hatte sich unbemerkt davongemacht. Im Dorf standen die Lkw der US-Army mit schwarzen Fahrern herum. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ein Fahrer winkte mich heran, lachte aber als er meinen ängstlichen Blick sah und gab mir ein Stück Schokolade.

Vor unserem Haus angekommen nahm ich meinen Koffer vom Leiterwagen und schleppte ihn hinein. Endlich schien alles vorbei zu sein. Gott sei Dank.

Nun musste erst einmal wieder Ordnung geschaffen werden. Mein Onkel wurde zum Bürgermeister ernannt, in unserer Wohnung nahm ein junger amerikanischer Offizier im Wohnzimmer Quartier. Gegenüber bei dem Bauern Berlage hatten die Soldaten in der Tenne ihre Küche eingerichtet. Sie fingen sich erst einmal die Hühner, der sie habhaft werden konnten und kochten in dem großen Schweinepott eine Suppe.

Die Soldaten waren uns Kindern gegenüber sehr großzügig.“

Hannes Tölle bleibt noch bis 1948 in Borgentreich. Heute lebt er in Selm-Bork im Kreis Unna.

 

Schutz bei der Gottesmutter

Johannes Kremper flieht am 23. Januar 1945 mit seiner Mutter und seinen vier Brüdern aus Schlesien nach Borgentreich. Der Vater ist zu der Zeit im Kriegseinsatz. Die Familie wird auf die Verwandtschaft in Borgentreich aufgeteilt. Johannes, damals acht Jahre alt, kommt mit seinem Bruder Ferdi zu Onkel Ferdinand auf den Mühlenberg.

„Wir gingen alle in die Volksschule, und für uns war es eine ganz normale Kindheit“, blickt der heute 83-Jährige zurück.

Bis zum Ostersonntag 1945.

„Wir waren zuhause noch dabei, Sachen in den Keller zu bringen, als gegen 8 Uhr die ersten Schüsse aus Richtung Lütgeneder zu hören waren. Da es im Haus zu unsicher wurde, machte die Familie Dietsch, die in einem Nebengebäude wohnten, den Vorschlag, zur Grotte zu gehen, um dort Schutz zu suchen,“ erzählt Kremper. Sein Bruder und er gehen mit den Nachbarn.

Wenig später kommen zwei Jugendliche, Evakuierte aus dem Ruhrgebiet, und noch weitere Menschen dazu. Insgesamt suchen etwa 15 Kinder, Jugendliche und Erwachsene, darunter auch drei polnische Offiziere aus dem Lager Dössel, Schutz bei der Gottesmutter in der Lourdesgrotte.

„Immer noch ging der Beschuss weiter. Nach ungefähr einer Stunde, die wir in großer Angst und Verzweiflung verbrachten, wurde es etwas ruhiger, und die ersten Erwachsenen machten sich eine Übersicht über die Lage vor der Grotte. Mittlerweile stand die ganze Straße voller amerikanischer Panzer und Fahrzeuge,“ erzählt Johannes Kremper.

Die polnischen Offiziere gehen den Amerikanern entgegen und versichern, dass sich in der Grotte nur Kinder, Frauen und ältere Menschen aufhalten und von dort keine Gefahr drohe. „Deshalb ist uns dort auch nichts Schlimmes passiert.“

Sie können von der Grotte aus sehen, dass im Ort viele Häuser brennen, auch das Haus des Onkels am Mühlenberg. „Als ich bei dem Haus meines Onkels ankam, konnte ich beobachten, dass gefangene deutsche Soldaten, die in den letzten Tagen des Krieges noch in Borgentreich eingetroffen waren, in Kleingruppen den Mühlenberg hochkamen und abgeführt wurden. Amerikanische Soldaten zerstörten die Waffen der besiegten deutschen Soldaten.“

Zusammen mit ihrer Mutter machen sich die Krempers auf den Weg, am Freibad vorbei, Richtung Friedhof, zu Verwandten auf der Marktstraße. „Auf der Straße zur Oberen Mühle standen viele Einspänner-Wagen. Diese waren von Borgentreichern mit geretteten Gegenständen aus den brennenden Häusern bepackt und dort sicher vor weiteren Bränden abgestellt worden.“

Am Ostermontag hat der junge Johannes noch ein besonderes Erlebnis mit den amerikanischen Soldanten: „Mein Cousin Herbert hatte am Ostersonntag während des Beschusses sämtliche Kühe losgebunden und aus dem Stall getrieben. Sie sollten einem möglichen Brand nicht zum Opfer fallen. Die Tiere hatten sich tatsächlich allein auf den ihnen bekannten Weg über die Bühner Straße zur Weide gemacht und diese auch gefunden.

Da mein Cousin bereits 15 Jahre alt war und als mögliche Gefahr für die amerikanischen Soldaten gesehen werden konnte, hat er mich als kleinen Achtjährige mitgenommen, um die Kühe zum Melken wieder zurück in den heimischen Stall zu holen. Wir wurden allerdings durch die Straßensperren der Amerikaner nicht durchgelassen. Sie machten uns sehr deutlich, dass wir in der Stadt bleiben mussten. Jung und unschuldig wie wir waren, nahmen wir einen anderen Weg und gingen quer über die Felder zu den Kühen.

Zurück nahmen wir die regulären Straßen, gingen zu den Absperrungen und durften, mit einem leichten Lächeln der amerikanischen Posten, zusammen mit den Kühen passieren.“

Johannes Kremper kümmert sich heute ehrenamtlich um die viel besuchte Lourdesgrotte, die ihm und anderen an jenem schlimmen Ostersonntag Schutz geboten hat.

In der Borgentreicher Lourdesgrotte haben Johannes Kremper und mehr als ein Dutzend weitere Menschen vor dem Beschuss am ersten Ostertag 1945 Schutz gefunden. Damals sah die Grotte, die von vielen Gläubigen besucht wird, noch etwas anders aus.
In der Borgentreicher Lourdesgrotte haben Johannes Kremper und mehr als ein Dutzend weitere Menschen vor dem Beschuss am ersten Ostertag 1945 Schutz gefunden. Damals sah die Grotte, die von vielen Gläubigen besucht wird, noch etwas anders aus.

Mit 50 Italienern im Felsenkeller

Die Neue Westfälische schildert in einem Bericht zum Kriegsende in Borgentreich, wie die Familie Dohmann mit rund 50 gefangenen italienischen Offizieren, die im Kinosaal einquartiert waren, unter dem Beschuss der Amerikaner aus ihrer brennenden Gaststätte in der Mühlenstraße flieht. "Wir sind gelaufen was das Zeug hielt", erinnert sich der damals zwölfjährige Reinhold Dohmann. Innerhalb zehn Minuten sei Borgentreich ein einziges Flammenmeer gewesen. "Es war ein unvorstellbarer Feuersturm."

Im Felsenkeller unter dem Mühlberg wollen sie Schutz suchen. Auf dem Weg kommen sie am Haus Dürdoth vorbei: Auch aus dessen verrauchtem Keller fliehen Familien. Ihr Ziel sind die Splittergräben, die am Judenhagen angelegt waren. Josef Dürdoth ist 12, wird im Hagel der Gewehrkugeln an der Halsschlagader getroffen und verblutet. Sein Vetter erleidet einen Armdurchschuss und einen Schuss in die Seite. Die Flüchtenden finden im Hagen einen erschossenen 17-jährigen deutschen Soldaten, der sich vom Mühlenberg zurückgezogen hatte.

Im Judenhagen wird es zu gefährlich, die Leute rennen zum Mühlenhof, hinab zum Kälberkamp, an der Schießanlage der Schützenbruderschaft vorbei in den Felsenkeller. Es ist ein Wunder, dass sie unter dem Beschuss heil durchkommen. Im Felsenkeller harren dicht an dicht gedrängt weit mehr als 100 Menschen aus.

Reinhard Conze erlebt diesen Morgen mit Mutter, Schwester und anderen im Felsenkeller unter dem Lehmberg, während draußen ständiges MG-Feuer und das Krachen brennender Dachstühle zu hören ist. "Als die Schüsse nachließen, liefen wir zur Mauerstraße um zu gucken, ob unser Haus noch steht", erzählt Conze. "Es stand in hellen Flammen. Drei Kühe waren an der Kette im Stall verbrannt, dazu mehrere Schweine. Nur unser Pferd konnten wir retten, weil es sich im Stall losgerissen hatte.

 

In diesem Felsenkeller unter dem Lehmberg überlebt Reinhard Conze als Sechsjähriger den Angriff der Amerikaner aus Borgentreich. Foto: Günter Schumacher
In diesem Felsenkeller unter dem Lehmberg überlebt Reinhard Conze als Sechsjähriger den Angriff der Amerikaner aus Borgentreich. Foto: Günter Schumacher

NSDAP-Mitglied und Bürgermeister: Franz Woker im Zwielicht

Franz Woker war NSDAP-Parteimitglied und Bürgermeister in Borgentreich. Das Portrait hängt im Rathaus. Seine Rolle ist umstritten.
Franz Woker war NSDAP-Parteimitglied und Bürgermeister in Borgentreich. Das Portrait hängt im Rathaus. Seine Rolle ist umstritten.

Franz Woker – ein Name, der in Borgentreich zwiespältige Gefühle auslöst. Wer ist dieser Mann, der während der NS-Zeit von 1934 bis 1945 in Borgentreich Amtsbürgermeister und ehrenamtlicher Bürgermeisters war?

Vielen galt und gilt der studierte Diplom-Landwirt als willfähriger Erfüllungsgehilfe des Naziregimes. Sein Porträt hängt in der Reihe der Bürgermeisterfotos noch heute im Rathaus. Stadtarchivar Jörg Kohlhase hat Franz Wokers Wirken anhand von Archivunterlagen 2017 näher beleuchtet. Sein Fazit: Man könne und müsse dessen Bild in der Galerie der Stadtoberhäupter belassen. „Denn schließlich muss man zu seiner Geschichte stehen und kann nicht so tun, als sei die Geschichte Borgentreichs in der Nazizeit ein großes Loch.“

Woker habe mit seiner Familie vor der Machtübernahme der NSDAP „in mißlichen Existenzverhältnissen“ gelebt und sich deshalb frühzeitig der Partei angeschlossen, schreibt Altbürgermeister Lorenz Kukuk am 25. Januar 1947 in einem Zeugnis für die britische Militärbehörde. „Sein Amt, das er bis zu seiner Internierung hier bekleidete, hat Woker aber immer in sehr anständiger Weise versehen, so daß ihm auch die Bevölkerung trotz seiner Parteizugehörigkeit zugetan war. Vor allem hat sich Woker keine verbrecherischen Handlungen zuschulden kommen lassen und manchen unüberlegten Schwätzer vor dem Schlimmsten bewahrt. Woker gehört meiner Überzeugung nach nicht zu den Nazi-Verbrechern“, so Kukuk.

Franz Woker wurde und wird vielfach für die schweren Zerstörungen in den letzten Kriegstagen verantwortlich gemacht. Jörg Kohlhase ist der Frage nachgegangen, ob Borgentreich damals durch das Hissen weißer Fahnen zu retten gewesen wäre und meint, die Antwort müsse „klar Nein lauten“.

Man hätte nach Kohlhases Ansicht am Karsamstag trotz Verbotes der Kreisleitung bei Androhung der Todesstrafe weiße Fahnen aufziehen können, da sich an dem Tag direkt in der Stadt offenbar kein Militär befunden habe. „Doch das hätte gewiss, da Borgentreich Vorverteidigungsposten für die aufzubauende Weserlinie sein sollte, die Aufmerksamkeit von überall in der Gegend vorhandenen SS-Trupps auf sich gezogen und Lebensgefahr für die Fahnenhisser bedeutet. Spätestens aber in der Nacht, als ein Trupp Wehrmachtssoldaten in Borgentreich Einzug hielt, wären die weißen Fahnen wieder eingeholt worden“, ist der Archivar überzeugt.

Am Morgen des Ostersonntag habe sich wegen der Soldaten keine Möglichkeit ergeben, weiße Flaggen zu hissen. „Hätten nach Beginn des Beschusses einzelne Bürger an ihren Häusern weiße Fahnen aufgezogen und die Amerikaner wären dann bei ihrem Einzug auf den Widerstand der Wehrmachtssoldaten im Ort getroffen, so wäre das noch schlimmer gewesen, denn die Fahnen wären dann als Falle interpretiert worden. “Womöglich hätten die amerikanischen Truppen dann den ganzen Ort dem Erdboden gleich gemacht, mutmaßt Kohlhase. Am Beschuss Borgentreichs jedenfalls trage „Woker mit Sicherheit keine Schuld“.

 

Kämpfen bis zum letzten Mann

 

Anders sieht es aus, wenn stimmt, was die Neue Westfälische am 1. April 1995 und am 28. März 2020 über das Kriegsende in Borgentreich berichtet:

„Versuche der Alliierten, aus dem bereits eroberten Warburg telefonisch eine Übergabe der Stadt zu vereinbaren, scheitern dem Vernehmen nach an der starrköpfigen Borgentreicher Stadtführung. Man wolle ‘bis zum letzten Mann kämpfen‘ heißt es und besiegelt damit das Schicksal der Stadt.“

Die Zeitung bezieht sich auf Aussagen der damaligen Zeitzeugen Reinhold Dohmann, Günther Conze und Josef Stüve, die von dem angeblichen Telefonat aber wohl auch nur vom Hörensagen wussten.

Einem ebenfalls nicht verbürgten Bericht zufolge habe Bürgermeister Woker versucht, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner am 1. April 1945 mit dem Auto zu flüchten. Ein ortsansässiger Handwerker soll ihn mit vorgehaltener Pistole an der Abfahrt gehindert haben.

Woker sei dann von den US-Truppen festgenommen und auf einem Panzer gefesselt durch die Stadt gefahren worden. Wegen Zugehörigkeit zur NSDAP kam er in ein Internierungslager, aus dem er nach 21 Monaten aufgrund der Intervention von Lorenz Kukuk, Wokers Nachfolger als Bürgermeister, freikam.

In einem wenig schmeichelhaften Licht erscheint Franz Woker durch seine Nähe und Freundschaft zu dem von ihm in der Verwaltung installierten politischen Beamten und NSDAP-Funktionär Josef Stauf (siehe Hauptbericht oben).

 

Auch Nachbarorte sind betroffen

Auch in den Ortschaften rund um Borgentreich richten die Amerikaner bei ihrem Vormarsch auf die Weser erhebliche Zerstörungen an. Stadtarchivar Jörg Kohlhase hat verschiedene Ortschroniken ausgewertet:

In Großeneder werden am ersten Ostertag etwa 40 Wohngebäude zerstört.

In Borgholz fallen am 6. April zwölf deutsche und 24 amerikanische Soldaten. Zudem ist ein ziviles Opfer zu beklagen, 44 Häuser werden zerstört.

Ähnlich sieht es nach fünftägigem Beschuss in Bühne aus. Zahlen liegen nicht vor.

Von schweren Zerstörungen ist auch in Manrode die Rede.